Der erlöste Christbaum

Wenn die Adventszeit beginnt, wachsen allerorten die Christbaumkäfige aus dem Boden. Eingezäunt stehen die Tannen nach Größe und Wuchs geordnet. Ebenmäßig, gerade. Manche auch noch im Drahtgehäuse. Wir drehen und wenden und urteilen. Der ist zu buschig, bei dem ist der Abstand zwischen den Zweigen zu groß, der ist ganz schön, aber nur von einer Seite. Und alle wollen wir den schönsten Baum erwischen.
Heute hat mir jemand von einem Mann erzählt, der einen besonderen, anderen Blick hat. Er hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, jeweils den „letzten“ Baum zu wählen. Also ließ er sich die asymmetrischen, verwachsenen zeigen. Die übriggebliebenen, die einfach nicht passen wollten in unser Bild vom perfekten Christbaum. Es war seine Freude, gerade diese  „Missgeburt“ zum Leuchten zu bringen. Auf eine Art, wie gerade dieser besondere Baum es konnte. Und manche seiner Freunde waren schon richtig neugierig, auf diesen einmaligen Christbaum

Einmal war es nicht einmal ein richtiger Baum. Nur der unterste Kranz von Zweigen, der übrig bleib, weil jemand seinen Baum gekürzt haben wollte. „Den nehme ich“, sagte er dem verblüfften Baumverkäufer, der ratlos war, in welche Preiskategorie dieser Rumpf nun gehöre.
Wie aus dem Rumpf ein Christbaum wurde? Er stand aufrecht, wie eine Sattelitenschüssel. In der Mitte das empfangene Christkind, und ihm zugeordnet alles Andere an Zier und Getier. Mittegeordnet- ein Bild für Erlösung.

„Wie schade, dass diese Kunstwerke  vergänglich sind, die das Schiefe und Schwache so leuchtend machten,“ sagte die Frau, die mir die Geschichte erzählte.

Ich widersprach. Vielleicht vergeht das Bäumchen. Aber die Geschichte bleibt. In mir hat sie Bilder geweckt und den Blick verändert.

6. Dezember 2013

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