1. Krippengeschichte

Aufbruch der Könige

König Caspar lebte in Afrika. Er war der König eines großen Stammes. Aber er war nicht froh darüber. Zuviel Schweres war ihm widerfahren. Sein einziger Sohn war von einer Schlange gebissen worden und daran gestorben. Und als endlich sein zweites Kind geboren wurde starb seine Mutter bei der Geburt. Es war ein Mädchen. Sie kam mit einer großen Beule auf dem Kopf zur Welt.

So wuchs die Königstochter also als Einzelkind heran. Sie lebte nicht in einem Königsschloss, sondern in einer großen Hütte aus Zweigen. Auch nicht mit vielen Dienern, sondern mit ihrem Vater und ihrer Großmutter. Und natürlich mit dem zahmen Elefanten. Auf dem ritt ihr Vater, König Caspar, wenn er benachbarte Könige anderer Stämme besuchte. Dafür wurde der Elefant festlich geschmückt. König Caspar saß am Rücken des Elefanten auf einer Art Thron. Und vorne, fast am Kopf des Elefanten, saß Elibarika, so dass sie ihn mit ihren Füßen lenken konnte.

DSC_1669Zu dieser Zeit starben viele Kinder, solange sie noch ganz klein waren. Darum gab man ihnen erst später ihre richtigen Namen. Am Anfang nannte man sie nur mit einem Kosewort. Und das Mädchen mit der Beule wurde „Beulchen“ gerufen, denn die Beule blieb ihr, auch als sie älter wurde. Ihr richtiger Name war Elibarika. Doch auch als sie älter wurde rief sie fast niemand so. Eigentlich nur ihre Großmutter – die Mutter ihrer Mutter. Sie war wohl die älteste Frau im ganzen Stamm. Niemand wusste genau, wie viele Regenzeiten sie schon gesehen hatte. Auch wenn ihr Augenlicht erloschen war, konnte die Großmutter noch immer prächtige Körbe flechten. Und sie konnte Geschichten erzählen! Man nannte sie „Gedächtnis des Stammes“, denn sie trug alle alten Geschichten in ihrem Herzen. Und Abend für Abend zog sie eine ihrer Geschichten aus ihrer Erinnerung hervor, umringt von Männern, Frauen und Kindern, die ihren Worten lauschten. Jeder Stamm hatte seine eigenen Geschichten, aber in Großmutters Gedächtnis waren auch fremde Geschichten aufbewahrt. Denn es kam immer wieder vor, dass aus der Ferne Geschichtenerzähler kamen. Und so soll es auch vor vielen Jahren gewesen sein.

Der Mann, der die Geschichte gebracht hatte, war hellhäutiger als die Männer im Dorf. Und noch mehr unterschied er sich von ihnen durch sein glattes braunes Haar. Großmutter behauptete, dass sie damals noch fast so jung und neugierig gewesen sei wie Elibarika heute. Und darum habe sie das Haar sogar angefasst. Weich und glatt sei es gewesen. Nicht hart und kraus. Folgendes hatte der Mann erzählt – damals, vor vielen Jahren. Es war wohl eine Rätselgeschichte:

Aus dem Baumstumpf Isais wächst ein Reis hervor, ein junger Trieb aus seinen Wurzeln bringt Frucht. Der Geist des Herrn lässt sich auf ihm nieder: Der Geist der Weisheit und der Einsicht, der Geist des Rates und der Stärke, der Geist der Erkenntnis und der Gottesfurcht. Er richtet nicht nach dem Augenschein, und nicht nur nach dem Hörensagen entscheidet er, sondern er richtet die Hilflosen gerecht und entscheidet für die Armen des Landes, wie es recht ist. ER schlägt den Gewalttätigen mit dem Stock seines Wortes und tötet den Schuldigen mit dem Hauch seines Mundes. Gerechtigkeit ist der Gürtel um seine Hüften, Treue der Gürtel um seinen Leib. Dann wohnt der Wolf beim Lamm, der Panther liegt beim Böcklein. Kalb und Löwe weiden zusammen, ein kleiner Knabe kann sie hüten. Kuh und Bärin freunden sich an, ihre Jungen liegen beieinander. Der Löwe frisst Stroh wie das Rind. Der Säugling spielt am Schlupfloch der Natter, das Kind streckt seine Hand in die Höhle der Schlange.

Seht, die Jungfrau wird ein Kind empfangen, sie wird einen Sohn gebären, und sie wird ihm den Namen Immanuel – Gott mit uns – geben.

Den Schluss der Geschichte erzählte die Großmutter immer etwas zögerlich, wohl weil sie wusste, dass dieser Satz zu einer anderen Geschichte gehörte. Vielleicht auch, weil die erwachsenen Leute sich an dieser Stelle zuzwinkerten. Ihre Augen sagten: „Das kann nicht sein. So etwas gibt es nicht auf dieser Welt.“

Dann war Elibarika ein kleines bisschen traurig, dass sie dieses Erwachsenengeheimnis wie die Kinder auf die Welt kommen, noch immer nicht ganz verstanden hatte. Wirklich, sie verstand auch nicht, warum ihre Großmutter diese Geschichte gerade immer dann erzählte, wenn ihr Vater besonders traurig war. Sollte sie dann nicht lieber eine Geschichte von dem erzählen, der die Welt gut geschaffen hat?

Diese Geschichten mochte Elibarika. Aber sie ärgerte sich auch darüber. Hatte die Großmutter doch gesagt, dass Geschichten mit Lebenserfahrung zu tun haben.

Natürlich war es schön, die Tochter des Königs zu sein. Es war wunderbar auf dem Elefanten zu reiten, von dessen Rücken sie auch Früchte von hohen Bäumen pflücken konnte. Aber es war nicht schön und gut, dass ihr Bruder nicht am Leben war. Und dass sie nie ihre Mutter kennen gelernt hatte.

Manchmal, wenn sie mit anderen Mädchen aus dem Dorf Mangos ernten ging, dann nahmen ihnen die Jungen, die stärker waren als sie, die großen Früchte weg. Und sie konnten sich nicht wehren. Und wenn Elibarika dann richtig wütend wurde, riefen sie Spottnamen hinter ihr her: „Beulchen, Beulchen – heul schön, heul schön.“ Und obwohl sie so fest vor hatte, nicht zu weinen, weinte sie dann doch. Und das schien die Buben besonders zu freuen.

Elibarika hatte die Nase schon geputzt bevor sie in das Zelt der Großmutter kam. Heute würde sie fragen, wieso sie glaubte, dass die Welt gut geschaffen sei. „Sei nicht traurig, Kind“, grüßte die Großmutter. Und Elibarika wunderte sich. „Du kannst doch gar nicht sehen, dass ich geweint habe.“ „Natürlich weiß ich, dass du traurig bist. Er, der die Erde gut gemacht hat, hat mir, als ich das Licht meiner Augen verloren habe, die Gabe gegeben, den Menschen in die Herzen zu sehen.“ – „Du bist also nicht wütend, dass du nicht mehr sehen kannst, dass deine Tochter nicht mehr lebt, dass du keinen männlichen Enkel hast?“ brach es aus Elibarika heraus.

Lange schwieg die Großmutter. Es war wohl eine schwere Frage, die an viel Schweres erinnerte. Fast tat es Elibarika leid, dass sie so direkt gesprochen hatte. Sie wusste, dass man eine solche Frage mit vielen Höflichkeiten hätte einkleiden müssen. Oder erst gar nicht davon anfangen.

Nach einer Weile sagte die Großmutter:„Er nimmt und gibt. Nur erkennen wir oft nur, was er nimmt. Dann sind wir wütend. – Die Tochter hat er mir genommen. Und dich hat er mir gegeben. Und dein Brüderchen – siehst du, ihn hat eine Schlange gebissen. Und bestimmt hätte ihn ein Heilmittel retten können. Aber wir forschen nur nach Giften für Pfeile und Kriege, darum kannten wir das Heilmittel nicht. Das ist dann die Verantwortung von uns Menschen. Gib dir Mühe, Kind, das Gute zu erkennen, das der Schöpfer der Welt gemacht hat. Und vertraue darauf, dass es da ist.“

Elibarika umarmte ihre Großmutter. Und auch wenn sie dafür eigentlich schon zu groß war, setzte sie sich auf ihren Schoß. Dann legte sie ihr zwei kleine Mangos in die Hände. „Seltsam, dass die Früchte immer kleiner werden“, wunderte sich die Großmutter. „Dabei hat es genug geregnet in diesem Jahr.“

Da begannen bei Elibarika wieder die Tränen zu fließen. „Die großen Jungen nehmen uns die großen Früchte weg. Und dann spotten sie über meine Beule. Man sieht sie gar nicht unter dem offenen Haar, aber ich kann mir nie schöne Frisuren machen wie die anderen Mädchen. Meinen Kopf hat der, der die Welt geschaffen hat wirklich nicht gut gemacht.“

Elibarika war vor Erregung aufgesprungen. Richtig wütend wurde sie aber erst, als ihre Großmutter auch noch über sie lachte. Wütend rannte sie davon.

„Hast du deine Ohren wiedergefunden Beulchen“, fragte Großmutter, als sie gegen Abend wieder zu ihr in die Hütte kam, um sich zu entschuldigen. Doch weil sie Beulchen gesagt hatte, schwieg Elibarika.

„Es tut mir leid, dass du dich ausgelacht fühltest, Kind. Ich habe gelacht, weil mir plötzlich klar wurde, dass du wirklich nicht weißt, welche Gaben du in deinem Kopf hast. Der Kopf ist der Ort, wo die guten Ideen entstehen. Und wo man die Lösung für schwere Probleme finden kann. Und in jeden runden Kopf passt davon eine bestimmte Menge. Und du hast nun diese Beule. Ist dir nie aufgefallen, dass dir auch dann noch etwas einfällt, wenn keiner mehr eine Lösung weiß?“ –

Ganz unrecht hatte die Großmutter nicht. Neulich zum Beispiel hatte sie die Idee, die Mangos zu verstecken und stattdessen Steine im Tuch nach Hause zu tragen. Wie hatten da die Buben dumm geschaut! –

Elibarika war getröstet. Fortan würde sie sich auf ihre Beule verlassen. Vielleicht konnte sie ja nicht nur ganz kleine, sondern auch größere Probleme lösen? Vielleicht konnte sie ja die Rätselgeschichte lösen, die der Geschichtenerzähler aus der Ferne mitgebracht hatte.

Der Anfang war gar nicht so schwer. Sie war ziemlich sicher, dass es um einen Königssohn ging. Der wurde zu einem wirklich gerechten König. Und das war schwer. – Sie sah es an ihrem Vater, wie schwer das war. Alle kamen mit ihren Sorgen. Und es war nicht so leicht zu erkennen, wer die Wahrheit sagte und wer nur einen Vorteil für sich wollte. Aber diesem Königssohn schien der, der die Welt gut geschaffen hat ganz direkt zu helfen.

Trotzdem – der Wolf würde das Lamm fressen. Der Panter das Böcklein, der Löwe das Kalb. Auch wenn es einen Königssohn gäbe, der gerecht wäre – niemals würde ein Löwe sich herablassen Stroh zu fressen.

Elibarika verzog sich auf den Affenbrotbaum, der neben der Hütte ihrer Großmutter stand. Sie versuchte ihre Beule zu aktivieren. Sie dachte nach. Sie machte ein Lied aus den Worten der Geschichte und sang sie vor sich hin:

„Dann wohnt der Wolf beim Lamm, tam tam
der Panther liegt beim Böcklein,
der kleine Knabe hütet sie
und braucht nicht mal ein Stöcklein.

Kalb und Löwe gemeinsam weiden.
und Kuh und Bärin können sich leiden.
Ihre Jungen liegen zusamm, tam tam.“

Beim Singen konnte sie besser nachdenken. Sie konnte die Bilder vor sich sehen. War das nicht ein Lied über Menschen, ein Friedenslied?

Plötzlich wurde sie hochgeschreckt. „Ihr Schlangen“, hörte sie Großmutters Stimme. Und sie sah die beiden Jungen, die den Mädchen so oft die großen Früchte wegnahmen, mit einem Korb davon flitzen. „Wollt ihr mir die Früchte verkaufen, die ihr meiner Enkelin weggenommen habt?“

Plötzlich begriff Beulchen. „Schlangen“ hatte Großmutter gerufen. Und gemeint hatte sie die beiden Jungen. Vielleicht waren alle diese in der Geschichte genannten Tiere ein Bild für den ersehnten Frieden unter den Menschen, den dieser Königssohn bringen würde. – Damit hatte sie das Rätsel gelöst. Denn der letzte Satz, den die Großmutter der Geschichte hinzugefügt hatte schien ihr völlig logisch:

„Seht, die Jungfrau wird ein Kind empfangen. Sie wird ihm den Namen Immanuel geben – Gott mit uns.“

Auch ein Königssohn kommt als Kind auf die Welt. Aus dem Bauch der Mutter – soviel hatte Elibarika schon herausgefunden von den Erwachsenengeheimnissen. Und dieses Kind war in den Bauch hineingekommen durch den, der die Erde geschaffen hatte. Bestimmt trug es die Vorstellung in seinem Herzen, wie der Schöpfer die Erde gedacht hatte, und konnte es den anderen Menschen erklären. Auf diese Weise würde er die anderen Könige lehren, wie man gerecht regiert und miteinander in Frieden lebt. Immanuel – Gott mit uns. – Logisch – durch ihn – den Königssohn – wird ja wirklich Gott mit uns sein.

„Großmutter, Großmutter“. So schnell war Elibarika noch nie vom Baum geklettert. Ihre Worte überstürzten sich, weil sie ihren ganzen langen Gedanken auf einmal sagen wollte. Sie vergaß alle Regeln der Höflichkeit. Vor Aufregung fiel ihr nicht einmal auf, dass ihr Vater und ein fremder Gast bei der Großmutter waren. Und dass sie in deren Gegenwart nicht einfach darauf los reden durfte.

„Wo kam der Geschichtenerzähler her, der dir einst die Geschichte von Löwe und Lamm erzählt hat? – Wir müssen dorthin. Alle Könige müssen dorthin. Sie müssen die Jungfrau suchen und das Kind. Es wird sie lehren, wie wir Menschen in Frieden leben können. Vater wird ein guter und fröhlicher König werden!“

Atemlos hielt sie inne. Wer war denn dieser schön gekleidete Fremde? Bestimmt wurde Vater jetzt böse, weil sie wie ein Wirbelwind hineingestürmt war.

Aber alle waren still. Sie schauten Elibarika staunend an. „Wie kann sie es wissen?“, fragte der Fremde. „Sie hat einen guten Kopf“ erwiderte die Großmutter und zwinkerte Elibarika dabei ganz unauffällig zu.

„Elibarika, dieser Fremde hier ist ein Sterndeuter. Er dient einem großen König und hat genau das, was du eben sagtest in den Sternen gelesen. Da ist ein Zeichen am Himmel, dem wir folgen sollen. Sie haben die Kamele schon beladen und wollen wissen, ob wir mit ihnen ziehen. “

„Darf ich mit?? Bitte, bitte darf ich mit?“ –

„Der Ort aus dem der Geschichtenerzähler kam hieß Jerusalem. In unserer Sprache: Stadt des Friedens.“ –

 

„Darf ich miiit???“

 

Der dritte König

Die Krippe ist ein Ort, an dem sich Menschen aller Zeiten sammeln. An dieser Krippe trägt der dritte König ein weißes Gewand und rote Schuhe. Er hat ein altes Gesicht, in dem man Falten und Risse sieht: Papst Johannes Paul II. So sah er etwa aus, als er gestorben ist.

Der Papst hat das Amt, Stellvertreter Christi auf Erden zu sein und die Kirche zu leiten. Er lebt in Rom, wo die Apostel Petrus und Paulus begraben sind. Er ist vor allem für die Einheit der Kirche in der ganzen Welt zuständig. Das ist eine sehr große Aufgabe, die niemand alleine tragen kann. Und trotzdem ist der Papst die Person, die für diese Aufgabe steht.

Das Kind in der Krippe hat ja auch, so klein wie es ist, die ganze Welt erlösen können.

Papst Johannes Paul II. wurde nicht schon als Papst geboren, sondern als ganz normaler Junge. Karol nannten ihn die Eltern. Sein großer Bruder war sehr viel älter. Also war er der Kleine. Als Karol neun Jahre alt war, starb seine Mutter.

Sein Bruder war inzwischen Arzt und ging schon arbeiten. Also lebte er allein mit seinem Vater. Der ging oft mit seinem Sohn an einen Ort zum Beten, an dem Maria besonders geehrt wird. Sie gingen zu Fuß und Karol liebte diese Wege mit seinem Vater. Und er mochte Maria. Da seine Mutter gestorben war, war die Mutter Gottes doch in besonderer Weise für ihn zuständig.

Karol war ein fleißiger Schüler. Er lernte gerne, besonders Geschichte. Aber nach der Schule wurde zuerst einmal Fußball gespielt. Oft spielten die jüdischen Kinder gegen die christlichen Kinder. Aber in der jüdischen Mannschaft waren oft zu wenig Spieler. Da hat Karol einfach die Mannschaft gewechselt. Auch wenn die jüdischen Kinder weniger galten. Das war mutig. Und vielleicht hatte es auch damit zu tun, dass Karol einen jüdischen Jungen zum Freund hatte.

Ein Freund, mit dem man über alles reden kann ist eine Hilfe, mehr zu verstehen. Karol konnte verstehen, dass er und sein Freund an den gleichen Gott glaubten. Nur mit Maria und Jesus konnte sein Freund nichts anfangen. Und Karol musste zugeben, dass es schwer zu erklären ist, warum er glaubte, dass dieses Kind in der Krippe die ganze Welt erlöst hat.

Vor allem, weil so viel zu sehen war, was nicht gut war. Aber gute Freunde wollten sie einander trotzdem sein.

Als Karol ein junger Mann war, wollte er Schauspieler werden. Er mochte die Kunst. Und er hatte Talent für Sprachen. Aber es war Krieg. Unser Land hat Polen überfallen. Jetzt wurden die Juden nicht nur verachtet sondern verfolgt, eingesperrt und umgebracht. Und alle jungen polnischen Männer mussten für die Deutschen arbeiten. Karol arbeitete in einem Bergwerk. Er hat gut überlegt, was man tun kann, wenn man in einer Zeit lebt, die so voll Gewalt ist. „Wenn ich auch Gewalt übe, dann wird es noch schlimmer. Aber wenn ich meine Zeit ganz gut nutze und so einsetze, dass es Gott gefällt, dann hat niemand außer Gott Macht über mich.“

Damals gehörte Karol zu einer Jugendgruppe mit 15 anderen Jungen und sie haben es richtig geübt, ihre Zeit gut zu nutzen. Sicher hat ihm das später geholfen, als er Papst wurde.

Wenn ein neuer Papst gewählt wird, sind die Menschen nicht nur sehr gespannt, wer es wird, sondern auch, was er als erstes sagen wird. Johannes Paul II. hat als erstes gesagt: „Habt keine Angst.“ Er hat es auf Italienisch gesagt „Non avete paura.“

Ob er daran gedacht hat, dass genau diese Worte die Engel den Hirten auf dem Feld gesagt haben?

Der Papst ist Stellvertreter Christi. Er hat sich erinnert, dass Jesus gesagt hat: „Lasst die Kinder zu mir kommen.“ Darum hat er bald nach seiner Wahl die Kinder eingeladen. Sie sollten das Christkind aus ihrer Krippe mitbringen. Und er, der Stellvertreter Christi würde sie segnen. Da sind die italienischen Mamas wohl auf den Dachboden gestiegen und haben nach der Weihnachtskiste gesucht. Und vielleicht durften dann die frischgeweihten Christkinder bei den Kindern bleiben bis zum Fest.

In Polen, dem Land, aus dem der Papst kam, regierten inzwischen Menschen, die die Welt ohne Gott heil machen wollten. Aus eigener Kraft. Alles sollte allen gehören. Das klingt gut. Aber wer kümmert sich, wenn etwas kaputt geht? Und wer sorgt dafür, dass wirklich gerecht verteilt wird? Es ist den meisten Menschen nicht gut gegangen mit dieser Lebensweise. Vor allem hatten die Menschen keine Freiheit.
Ob Karol, der inzwischen Papst Johannes Paul II. war, ihnen helfen könnte? – Wenigstens konnte er ihre Not verstehen.

Der Papst hat dann etwas gemacht, was vor ihm noch kein Papst gemacht hat. Er ist gereist. In viele verschiedene Länder. Da war es gut, dass er so gerne fremde Sprachen lernte, denn dann konnte er alle Menschen in ihrer Sprache begrüßen. In Polen war das einfach. Das war seine Muttersprache.

In viele Länder und Kontinente ist er gereist. Und immer ist er kräftig und strahlend aus dem Flugzeug oder dem Hubschrauber gestiegen. Den Stab mit dem Kreuz hat er den wartenden Menschen entgegengehalten wie ein Siegeszeichen.

Auch nach Polen ist er gereist. Und damit hat er in seinem Land den Glauben gestärkt. So sehr, dass die Mächtigen Angst bekommen haben. Sie wollten doch beweisen, dass man die Welt ohne Gott erlösen kann.

Er war gerade mal drei Jahre Papst, da haben Leute jemanden bezahlt, damit er den Papst erschießen sollte. Fast wäre es gelungen. Aber, wie er dann selber sagte: „Jemand hat die Kugel umgelenkt.“ Johannes Paul II. hat geglaubt, dass Maria ihn behütet hat. Sein Herz war ganz dankbar dafür, dass ihm noch einmal Zeit zum Leben geschenkt worden ist.

So gerne wollte er die Kirche ins nächste Jahrtausend führen.

Er hat die Kugel, die ihm den Tod bringen sollte für die Krone einer Marienfigur verwendet. Und in seinem Herzen hat er gesagt: „Ich bin ganz dein.“ Das war auch sein Wahlspruch.

Als Papst hatte er sein Leben schon in den Dienst der Kirche gestellt. Da hatte er im Gebet den Gedanken, dass er Maria auch sein Sterben zum Geschenk machen könnte. Auch seinen innigen Wunsch die Kirche ins nächste Jahrtausend zu führen, wollte er in ihre Hand legen.

Er durfte noch lange leben und die Kirche ins nächste Jahrtausend führen. Das hatte er sich so sehr gewünscht. Das war die Gelegenheit für ein großes Fest. Doch als der Termin näher kam, stand nicht mehr das Fest im Mittelpunkt.

Der Papst dachte über Vieles nach: An den langen Weg der Kirche in 2000 Jahren. Er dachte an Maria. Welche Zeiten sie wohl gefreut hatten? War es nicht wunderbar, dass es kaum noch einen Winkel in der Welt gab, wo man von der Geburt des Gottessohnes noch nicht gehört hatte?
Als er an den langen Weg der Kirche dachte seit Gott durch das Kind in der Krippe den Menschen ganz nahe kam, war er ganz betroffen davon, wie viel Schlechtes trotzdem in dieser Zeit geschehen war. Und wie viel auch Christen zu diesem Schlechten beigetragen hatten. Weil der Mensch frei ist kann er sich auch entscheiden, das Böse zu tun. – Das wusste der Papst schon immer.

Aber jetzt dachte er besonders an die Kirche. An alle Menschen, die an Christus glaubten. In diesem Moment hat er sich nicht so sehr als Stellvertreter Christi gefühlt, sondern als Teil dieser Kirche. Da hat er geweint und sich ganz klein gemacht. Und er hat um Vergebung gebeten. Das war in Jerusalem. Dort wo die Juden beten. Ganz nah bei Bethlehem.

Nun war er also fast dort, bei der Krippe. Aber es lag noch ein Stück Weg vor ihm. Sein Sterben, das er Maria schenken wollte. Der kräftige, der „Starke Papst“, wurde krank. Seine Hände zitterten und er konnte nicht mehr gut stehen und nur mit Mühe reden. Seine Ratgeber fanden, er sollte sich ausruhen. Aber der Papst wollte sich unbedingt mit jungen Leuten treffen. So wie er damals die Kinder eingeladen hatte, wollte er jetzt Jugendliche treffen.
Niemand fand, dass das eine gute Idee ist. Aber dann haben sie die Jugendlichen doch eingeladen, obwohl sie dachten: Wer wird schon wegen diesem alten kranken Mann eine Reise machen.

Nun hielt Johannes Paul II. sich an seinem Stab mit dem Kreuz mit seinen letzten Kräften fest. Er konnte fast nichts mehr tun. Aber er konnte darauf vertrauen, dass Gott durch ihn etwas wirken konnte. Manchmal musste er mit dem Rollstuhl geschoben werden. Jeder konnte im Fernsehen sehen, dass er kaum noch die Hand heben konnte, um die Jugendlichen zu segnen.
Da ist etwas ganz Seltsames geschehen. Plötzlich konnten die jungen Leute sehen, dass nicht der mächtigste Mann der Kirche sie besucht. Sondern der Stellvertreter Christi. Ein Funke des Verstehens zündete zwischen diesen Jugendlichen und diesem alten Papst. Ein Funke der Liebe.

Das war das Geschenk, das der dritte König Maria und ihrem Kind mit seinem Sterben gebracht hat.