Kindliches (7)

 Wolfskind

Liebeshungrig
alle kratzen,
die ich lieb
mit böser Fratze.
Will nicht liebsein
um geliebt zu werden.
Will geliebt sein
weil ich bin auf Erden.
Meine unstillbare Liebesgier –
Wer stillt sie mir?
Kratze, beiße, jaule, heule.
Ortlos schalt mein Klagelaut.
Durch die Wälder, durch die Dörfer,
heul ich, dass den Kindern graut.
Ach, wer stillt mir mein Verlangen,
dass nicht Maß noch Ende hat.
Ach wer geht mit mir den langen
Weg der Zähmung, ach, wer hat
diese Liebe, die verstünde,
dass mein Kratzen Zärtlichkeit,
wer mein Beißen überwindet,
ach, wer teilt mit mir das Leid,
dass als Wolfskind ich geboren,
und zerrissen ist mein Sein.
Liebt mich, sonst bin ich verloren,
kann ja leben nicht allein.

20. Juni 2015

Schrumpforte

Die Mauer um den Kindergarten wurde geschleift,
das Tor enger gemacht.
Selbst das Gebäude ist geschrumpft.
–   Oder bin ich gewachsen?

 Orte der Kindheit

Die Orte der Kindheit sind Orte,
weil sie Namen haben.
Schwarzkäferplatz, zur krummen Kiefer, am Bächle,
sind Orte,
weil ich vertraut wurden mit ihnen.

Der Käfer entschwunden,
die Kiefer gefällt, der Bach kanalisiert –
bleibt der vertraute Name.

Erlieben

Bleiben dürfen,
wiederkommen.
Eine Landschaft
mit Geschichten füllen,
die mich erwarten.

2012

Ungeborgen

Ungeborgen
harre ich aus
im Schneckenhaus
der Ichgefangenschaft,
das mich bewahrt
vor den Risiken uns
Nebenwirkungen
der Freiheit.

2. März 2015

Wie damals

Hinter meinem Bruder herstrampeln
auf dem kleinen Rad
ohne Gangschaltung.

Nicht zugeben,
wie sehr ich mich abstrample,
hinterher k. o.

Plötzlich ist Kinderzeit Gegenwart.
Wie damals kürze ich ab
über die Treppe
mit dem kleinen Rad.
Erste!
Ohne Gangschaltung.

Er, souverän, lässt´s geschehn,
wie damals.
Als hätte er mich gewinnen lassen.

27. Februar 2014

Wegen mir

Weil ich friere ist die Welt so kalt.
Weil die Gelenke knirschen fühle ich mich alt.
Weil die Zähne wehtun ist die Welt so schlecht.

Wenn´s mir gut geht, und nur dann, ist sie gerecht.

November 2011

2 Gedanken zu „Kindliches (7)“

  1. Lieber Georg,

    im gegenwärtigen Wahrnehmen vergangener Orte gibt es tatsächlich das „Schrumpferlebnis“.
    Aber im Erinnern vergangener Zeiten – was waren die Sommer der Kindheit doch lange.
    Und die haben wir ja in uns aufbewahrt als Vorrausklänge der Ewigkeit.

    Ihre Luise Maria Marcks

  2. Liebe Luise,

    wie wahr, dass die Dinge kleiner werden. In früheren Zeiten war der Rodelberg auch einmal höher, so hoch, dass ich mich von dem großen Gipfel garnicht fahren traute und lieber die kleine Route vorzog. Das Außenschimmbecken vom Trimini haben sie ebenfalls umgebaut, denn so riesig wie damals ist es schon lange nicht mehr, dabei war es wirklich groß wie das Meer und wir haben darin wunderbare Stunden verbracht…

    Ach ja, wie die Zeit vergeht. Schreiben sie nur weiter so treffende Gedichte, die mir selbst aus dem Herzen und der Seele sprechen, mir Worte geben Dinge auszudrücken, welche ich selbst nicht finden würde oder mir garnicht über diese Gedanken bewusst bin, doch wenn ich sie lese in mehr tiefe Erinnerungen wachgerufen werden, durch das Lesen neue Welten vor mir entstehen und sich meine eigene Begrenzheit weiten kann. Wie gut, dass es Menschen wie Sie gibt, die die Gabe der Sprache geschenkt bekommen haben und damit so schöpferisch umgehen, selbst wenn es phasenweise zur eigenen Erschöpfung führt. Wie schön, dass viele durch diese Seite an Ihrem Schaffensprozess Anteil haben können.

    Vielen Dank und weiter so!

    Ihr Georg

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