Zeitgeschichte (7)

Überfluten

Wir können nicht mehr haushalten,
Jahrhungdertfluten
im Zehnjahrestakt überschwemmen
verbautes Land.

Die oben schauen verschämt in die Glotze.
Die Armen, so ein Dreck. Wer zahlt?

Echolot

Laß dein Echolot
hinunterklingen
in die Tiefe der Zeit.

Höre still und bescheiden
die Wahrheitswahrnehmungsfülle.
Hör auf die Lauten
sieh auf die Stillen.

Sammle, was hinunterfiel im Erinnern,
die Steinchen, die Zeichen,
die Würde der Brüche.
Und lausche der lautlosen Sprache der Dinge.

Erschrick nicht über den Widerhall
von Gewalt und Lüge,
in diesem Land, in dem fuhren die Züge
zum großen Morden.

Suche in einer letzten Tiefe
den Einen der steuert
das schlingernde Schiff.

19. Juli 2017

Auf der Höhe der Zeit

Immer ist die Jugend
auf der Höhe der Zeit.
Setzt Trends
nach unseren Steilvorlagen.
Doch ab und zu
durchzuckt uns
jähes Wiedererkennen:
„Das war schon mal da
vor ihrer Zeit,
als wir noch
Jugend waren.
Dass man so was
wieder trägt!“
27. Mai 2017

Ist was geschrieben steht

Ist was geschrieben steht gelogen, wie gedruckt?
Was festgeschrieben schwarz auf weiß da steht?
Was je ein Mensch erfahren, formuliert und festgehalten,
um dies, sein Lernen und sein Leiden zu bewahren.

Bewahrt was war, was wahr ist; In Stein gemeißelt:
Gott lieben, Eltern ehren, nicht töten.
Wer tat es? Mal nur diese drei von zehn.
Oder in die Luft geschrieben,
vergangen, verweht, vergessen.
Oder gedruckt,
vervielfältigt, vergilbt, verbrannt.

All das Geschriebene
Chronik des Weltganzen, erste Auflage,
erster Entwurf,
auf sich selbst zurückgeworfen.
Verworfenes`Fragment`
oder Fortsetzungsgeschichte mit offenem Ausgang?

Von allem Anfang an, vom Ende her gedacht.
Geschrieben vom…

Wir sind die Schreibtischtäter.

6. Juli 2015

Menschenwürde

Gerechtigkeit von Recht
getrennt
haben die Geschädigten
Schadensersatz
zu entrichten.
Zahlt
Opfer den Mord.
Sein Dasein seine Schuld.
Die Würde
gewürgt, erwürgt
des Menschen
Was ist das – ein Mensch?
Mehrheitsschutz
des Stärkeren. Unantastbar.

Gewissen war einmal.
Alles geordnet, angeordnet,
in Ordnung.
Ein für Allemal erledigt,
entledigt.
Brudermord macht einsam
und alleinherrlich.
Mitgemordet seine Kinder
und Kindeskinder
nicht zum Sein gekommen.
Sie fehlen. Fehlen uns.
Nie gekannt der Weltenlauf
mit ihnen.

Massenmord
ist Menschenmord.
Masse Mensch mordet
auf Anordnug
Schweigen.
Niemand verantwortlich
schweigend,
für millionen,
hunderttausend,
tausend, hundert, zehn, einen
Toten, Gemordeten.
Was heißt, Verantwortung ?
Wo keines Menschen Macht
lebendig macht.
Verantwortung
setzt die Frage vorraus:
„Wo ist dein Bruder?“
Setzt ein Gegenüber vorraus.
Einen über mir, dem ich Antwort schulde.

Die Würde des Menschen.
Was ist das – ein Mensch.
Definiert vom Stärkeren.
Seine rechtskräftige
Definition ist
unantastbar.
Recht von Gerechtigkeit getrennt.
Was geschieht denen,
die Gott sein Volk
rauben?
Wendet ER ihr Unrecht
auf sie zurück?
Leben als einzige Gelegenheit
zur Umkehr.
Bewahrung zur Bewährung.

28. September 2015

Teufelskreis

Der Griff nach der Allmacht,
wieder und wieder versucht.
Die große Versuchung der Menschen.
Irdische Heilsversprechen:
„Gebt mir ein Jahr!“

Teufelskreise, die ineinandergreifen:
Personenkult, Menschenfurcht,Tyrannei,
Menschenfurcht, Tyrannei, Personenkult.
Und ebenso:
Kontrolle, Angst, Anpassung, Kontrolle, Angst…
Kein Anfang noch Ende, der strangulierenden Kreise.
Totalitär heißt ausweglos.
Nicht Weg, noch Wahrheit, noch Leben.

Vergottung ist auf Menschenopfer gebaut.
Alle frißt der Moloch: Täter, Mitläufer, Opfer.
Den Tätern die Seele, den Mitläufern den Geist,
den Widerständigen und den „Unnützen“ das Leben.
Ein Totenhaus schafft sich die Macht des Menschen.

Für Schuldgefühle fehlt das Gegenüber.
Einjeder weiß sich nur als kleines Rad,
hörig dem, der ihm Befehl gegeben.
Keiner mehr überblickt das Ganze.
Niemand verantwortet die eigene Tat.

Nur ständig neue Feinde sich schaffen.
Sündenböcke, für das ausbleibende
Kommen des Heils.
Immer schneller drehen sich die Teufelskreise.
Ständig neue Opfer fordert der Moloch
von nun an, bis…
keiner mehr da ist?

Ein unsichtbarer Riss nur im System
ist das freie stellvertretende Opfer,
das den Teufelskreisen die Achse zu brechen vermag.

7. Juni 2015

Finsternis

Am Anfang
war die Selbstvergottung.
Trat ein Heilbringer auf
und versprach alles.
Der Selbstermächtigte
schuf sich eine Masse
nach seinem Wahnbild
ihm ähnlich
und nannte die Masse Herrenvolk.
Er setzte es
über die anderen Völker.

Er nannte das Dunkel Licht
und das Licht Dunkel.

Alles Dunkle, was in ihm war,
hängte er seinen Feinden an:
Den Griff nach der Weltherrschaft,
Kriegstreiberei, moralischen Verfall,
Lüge und Unzucht.

Und er tötete das Licht, das er Dunkel nannte,
und all seine Untergötter mit ihm
sprangen in den Abgrund
um im Dunkel zu bleiben.
Am Ende war die Erde wüst und leer.
Finsternis lag über allem.

17. Juni 2015

Yad Vashem

Als ich Münzen in die Tiefe warf,
in den Brunnen, der von Namen widerhallt,
der unzähligen Menschen, die dahingemordet,
sollt das leise klingen mich zur Gegenwart befreien.
Denn vergangen scheint im Widerhall, was war.
Echo einer fernen, bösen Zeit.

Durch die Macht der Bilder fest in Bann gezogen,
seh ich  auch die Augen all der Kindeskinder,
die durch dieses Morden nicht geboren worden.
Ach, die Spätgeburt ist keine Gnade.
Gnade wäre, wenn ich hoffen könnte,
all das viele Morden wäre nun zu Ende,
wenn ich eine Welt voll Frieden fände,
oder wenigstens einen Zug dorthin.

Nicht wie jener, der am Abgrund mahnt.

Nicht zu morden, sinnlos und brutal –
ist es das, was uns die Opfer lehren?
War nicht diese Lehre auch den Tätern
schon in Stein gemeißelt?
Lebt dies Wissen nicht in jedem Herz das lauscht?
War´s nicht ein verwerfen allen Seelenwissens.
War es nicht ein ganz bewusstes tauschen:
Nehmt das Herz und gebt mir einen Stein?
Dass ich heldisch stehe in dem Grauen.
In dem Blutbad glaube ich sei rein?

Hier in Name, Bild und Wort hat Erinnern einen Ort gefunden.
Und ich sehe in diese fremden Leben tiefer
als die eigene Geschichte mir ist überliefert,
wo ich nicht mal unterscheiden kann,
was Legende ist, und was die Ahnen damals wirklich taten, dachten.
Selbst die Täter, wenigstens die großen, sind auf schwarzem Sarg
ins Bild gebannt, manche harmlos scheinend, aber manchen
sieht man ihre dunklen Taten an.

Und die Münzen, die ich in die Tiefe warf ,
noch sind sie nicht unten  angekommen,
nichts als Stille habe ich vernommen,
weil das Morden nicht zu Ende ist,
weil die Tiefe immer tiefer wird,
sich in Bodenlosigkeit verliert.

Lauschend stehe ich und warte,
warte, frag dabei mein eignes Herz:
Ist Dir SEIN Gebot hineingeschrieben,
fühlst Du wachsam mit des anderen Leid?
Wo sind Mut und Tatkraft die du brauchen wirst
recht zu handeln auch in unserer Zeit?

Plötzlich klingt es leis in meinen Ohren:
Nur gemeinsam geht es, nicht allein.

31. Mai 2015